Nun sind wir seit zwei Monaten im Projekt, stehen unter der Woche in der Früh auf, haben zwölf Stunden Präsenzzeit, korrigieren die Lektionsvorbereitungen der Volontärinnen und arbeiten mit den etwas schwierigeren Kindern im Einzelunterricht. Es ist eine spannende und nicht nur der Sprache wegens herausfordernde Zeit. Am Ende jeden Tages merken wir, wie unsere Hirne ermüden und immer weniger sinnergebende Sätze im Gyrus frontalis inferior gebildet werden. Dementsprechend verlässt spät abends nur noch unverständliches Spanisch unseren Mund. Deshalb geniessen wir die freien Tage, Samstag und Sonntag, besonders. Ausschlafen, zu zweit frühstücken, ohne dabei auf Spanisch zu konversieren, dann Sport treiben und in unserem Lieblingscafé, gibt nur zwei in Macas, stundenlang sitzen, schwatzen, schreiben und sein. Oder aber wir schnappen uns am Freitagabend den Nachtbus nach Quito, kommen dort um 4:00 Uhr morgens im Hostel an, schlafen noch ein bisschen und geniessen dann den Samstag, bevor es am Sonntag per Bus wieder die neun Stunden zurück nach Macas geht. Die Krux bei der Sache ist, dass nur wir beide Freitage haben, die anderen vier Volontärinnen jedoch nicht. Diese sind zwar auch freiwillig hier, wurden aber von der salesianischen Organisation (Don Bosco) geschickt, was bei uns nicht der Fall ist. Für sie gelten andere Regeln, aufgrund ihrer religiösen Gesinnung und aufgrund ihres Alters, ist doch die Hälfte von ihnen noch minderjährig.
Hier zeigen sich nun erste Risse, die uns in den ersten Wochen noch verborgen geblieben sind. Die Mädchen sind uns gegenüber mittlerweile sehr offen und es hat sich gezeigt, dass die strengwirkende Chefin, tatsächlich streng ist. Die Vier arbeiten seit sechs Monaten hier und hatten in dieser Zeit noch keinen einzigen freien Tag. Nicht einen. Tagwach ist für sie um 5:30 Uhr, Tagesende zwischen 19:30 - 21:00 Uhr, sieben Tage die Woche, ein Jahr lang. Zu denselben Arbeiten, die wir unter der Woche machen, gesellen sich bei ihnen zusätzlich Gebete am Morgen und Abend, mehrere Male kirchliche Unterweisung bis spät in die Nacht, Gottesdienste und das Putzen des ganzen Hauses hinzu. Samstag und Sonntag gelten dieselben Präsenzzeiten. Wir helfen wo wir können, aber an den katholischen Riten können und wollen wir nicht teilnehmen. Untereinander sind die Mädchen sehr solidarisch, unterstützen sich gegenseitig, tragen aber nichts von ihren Sorgen und ihrem Kummer nach aussen. Ausser zu uns. Die Chefin, welche Jahr ein, Jahr aus mit den Volontärinnen wohnt, sowie die Koordinatorin, die nur unter der Woche da ist, führen ein strenges Regime. Wir beide sind davon jedoch nicht betroffen, da wir älter sind und im Projekt einen anderen Status innehaben. Die Mädchen sind oft erschöpft, arbeiten auch wenn sie krank sind und wenn sie um eine Erholungspause bitten, wird ihnen anscheinend gesagt, dass dafür dann im Himmel genügend Zeit sei.
Am Freitag während dem gemeinsamen Mittagessen, die Leiterinnen sind nicht dabei, beginnen alle vier zu heulen wie Schlosshunde. Wir versuchen zuzuhören, Ratschläge zu geben und sie zu ermutigen, das Gespräch mit den Leiterinnen zu suchen. Als dann die beiden Leiterinnen die Küche betreten, wischen sich die tapferen Mädchen schnellstmöglich die Tränen weg, stehen auf und fangen an zu arbeiten, als ob nichts gewesen wäre. So geht es anscheinend schon seit Monaten. Einige Volontärinnen spielen nun mit dem Gedanken, das Projekt frühzeitig zu verlassen, da sie an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt sind, bzw. diese schon überschritten haben. Wir legen ihnen ans Herz, sich über das Wochenende einen Plan zurechtzulegen, wie sie mit den Leiterinnen das Gespräch suchen können. Denn wenn sie nun einfach gehen, wäre das Projekt, zumindest für dieses Schuljahr, gestorben. Es blieben nur noch wir zwei übrig und wir können nicht simultan vier verschiedene Klassen, Einzelunttericht und die Computerraumbetreuung übernehmen. Dazu braucht es sechs Personen.
Über das verlängerte Wochende liessen wir die vier Mädels schweren Herzens in Macas zurück und haben Abwechslung in der Hauptstadt gesucht. Heute fahren wir von Quito zurück und hoffen, die Mädchen haben einen Plan. Diesen sollten sie im Gespräch mit den Leiterinnen umsetzen, sodass sich die Bedingungen für sie verbessern und wir alle weiterhin gemeinsam im Projekt arbeiten können.
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