The Forgotten Boys of Sabbavaram

Eine Weile ist es her, dass wir des Paradieses auf Koh Lanta überdrüssig waren – jetzt sehnen wir uns zurück. Trotz vorhandener Reiseerfahrung in Indien, ist die Landung hier nie sanft. Jedes Mal erleben wir einen Kulturschock begleitet von immenser Müdigkeit. Die ersten beiden Wochen im Bundesstaat Andhra Pradesh im Projekt für Jugendliche waren geprägt von vielen Reisen, Begegnungen und Akkulturation, wobei das letzte die meiste Energie raubte. Zum ersten Mal wollen wir in Indien nicht nur zu Gast sein, sondern auf Augenhöhe akzeptiert werden, was unsererseits so einiges abverlangt. Wir sind gekommen mit viel Enthusiasmus, einer fundierten Schweizer Lehrerbildung, einigen Indienkenntnissen und einem kritischen Geist. Wir fanden, wir seien relativ gut vorbereitet…
 
Der Zufall wollte es, dass wir zunächst Einblicke in verschiedene Projekte für Jugendliche erhalten: So fahren wir quer durch Andhra, wie der Bundesstaat hier verkürzt genannt wird, von Hyderabad nach Visakhaptnam zurück nach Vijayawada und hinaus auf’s Land nach Chiguru und Guntur. Wir kommen in Kontakt mit anderen Freiwilligen, die alterstechnisch unsere Schüler sein könnten und lernen unterschiedliche Fathers, so werden die Ordenspriester in leitenden Funktionen genannt, kennen. Ausserdem werden wir überall wie Königinnen bewirtet und betanzt, denn dies scheint zur grossgeschriebenen Gastfreundschaft zu gehören. Was dabei immer unklarer wird, ist unsere Rolle in der ganzen Sache: Wie können wir helfen? Wo werden wir gebraucht? Was wollen die von uns? Die Indischen Antworten sind unterschiedlich (glaubwürdig) und reichen von „geniesst eure Zeit und habt Spass,“ über „ihr seid für die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zuständig,“ zu „lernt telugusprechenden (Telugu ist eine von insgesamt 122 Sprachen Indiens) Erstklässlern Englisch“. Zum Glück sind noch unsere Vorgängerinnen Maria und Gabriella vor Ort, die uns helfen, in kurzer Zeit eine gute Übersicht zu gewinnen. Sie sind es, die uns erklären, was es zu machen gibt, denn von den Fathers erfahren wir ohne eindringliches Nachfragen nichts. Bringen wir doch etwas in Erfahrung, so ist es äusserst vage formuliert und wird meist im letzten Moment wieder abgeblasen oder wir werden schlicht und einfach belogen. Dies ist nicht einfach zu akzeptieren. 

Nach zwei Wochen beobachten und abwägen, nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand und stellen keine Fragen mehr, sondern liefern die Antworten gleich selbst: Wir können nur dort helfen, wo man uns versteht und wir den Auftrag begreifen, höchstwahrscheinlich in der Rolle als Lehrpersonen. Wir werden dort gebraucht, wo es an Arbeitskräften mangelt. Wir werden vermutlich nie rausfinden, was die Leute hier wirklich von uns wollen, aber zum Geniessen und Spass haben wären wir gewiss auf Koh Lanta geblieben. So entscheiden wir uns für die vergessenen Jungs von Sabbavaram, einem etwas abgelegenen Internat für Buben aus ganz armen Familien oder Waisen. Wir nennen sie vergessen, weil von all den Projekten, die wir gesehen haben, dieses am wenigsten entwickelt ist und nicht im Fokus der Organisation zu liegen scheint. Zurzeit leben 96 Jungs aufgeteilt auf zwei Schlafräume hier und werden von einem einzigen, nicht ausgebildeten Mann betreut. Fast hundert Jungs im Alter von neun bis fünfzehn Jahren dazu zu bringen, das zu tun, was sie tun sollten, ohne physische oder psychische Gewalt anzuwenden ist unmöglich. Deshalb läuft er den ganzen Tag mit einem Stock oder einem Gurt in der Hand herum. Zusätzlich leben hier drei Schwestern, die dafür sorgen, dass der Laden organisatorisch läuft, aber nichts mit der Betreuung der Jungs zu tun haben. Als wir Father Thatthi, den Chef der gesamten Region, darauf ansprechen, ist das Problem wohl bekannt jedoch nicht dringlich. Irgendwann gingen diese Jungs wohl vergessen…

…deshalb sind wir hergekommen, verbringen etwas Freizeit mit ihnen und versuchen bei den Hausaufgaben zu helfen. Ausserdem unterrichten wir Englisch an einer Schule, die Leute für das Gastgewerbe ausbildet. Zusammen mit unserem Kontakt in der Schweiz, der Organisation One World, versuchen wir zwei Basketballkörbe auf dem Spielplatz in Sabbavaram zu realisieren, sind aber noch skeptisch, ob wir das hinkriegen, bevor unsere Zeit hier abgelaufen ist. Gerne würden wir noch viel mehr für die vergessenen Jungs tun, doch wir wissen nicht, ob vor Ort jemand unsere Stimme hören will.

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